- Gefangenenliteratur
- Gefangenenliteratur,Gefängnisliteratur, seit Mitte der 1960er-Jahre entwickelter Begriff, der die von Inhaftierten verfassten literarischen Texte bezeichnet, die v. a. in Form von Gedichten und Kurzprosa in den Gefängniszeitschriften Verbreitung finden. Literaturtheoretische Anmerkungen, z. B. über die Entstehungsbedingungen von Gefangenenliteratur, durch Beteiligte selbst (P.-P. Zahl) sind eine Einzelerscheinung. Auch die Literaturwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland erforscht erst in jüngster Zeit Geschichte und Eigenheit der Gefangenenliteratur, deren Tradition bis zu den Aufzeichnungen Eingekerkerter und Deportierter der vergangenen drei Jahrhunderte (D. Defoe, G. G. Casanova, F. M. Dostojewskij, O. Wilde) zurückreicht. Im 20. Jahrhundert stehen die Werke von J. Genet exemplarisch für literarisch bedeutende Texte der Gefangenenliteratur, für die deutsche Literatur ist H. Jaeger zu nennen. Der weitaus größte Teil der Gefangenenliteratur dient jedoch der Selbstentfaltung und Identitätsbewahrung in der Haft sowie der Kontaktaufnahme mit anderen Gefangenen und der Außenwelt. Durch persönliche Initiative, u. a. von Schriftstellern gefördert (Ursula Trauberg »Vorleben«, 1968, Wolfgang Werner »Vom Waisenhaus zum Zuchthaus. Ein Sozialbericht«, 1969, beide mit einem Nachwort von M. Walser; Peter-Jürgen Boock »Ratte tot. ..«, 1985, Briefwechsel mit P. Schneider), wird Gefangenenliteratur zunehmend einem breiteren Publikum verfügbar. Daneben stoßen v. a. die autobiographisch geprägten Darstellungen der Gefangenen auf psychologische (M. Foucault) und kriminalpolitische Interesse, da sie die Auswirkungen der Haft auf die Psyche, die Entwicklung des Strafvollzugs, die Vorgeschichte einer Tat u. a. dokumentieren.Ausgaben: Autor und Täter, herausgegeben von K. Lüderssen u. a. (1978); Innen-Welt, herausgegeben von K. Kreiler (1979).S. Weigel: Und selbst im Kerker frei. ..! Zur Theorie u. Gattungsgesch. der Gefängnislit., 1750-1933 (1982);U. Klein u. H. H. Koch: G., in: neue polit. literatur, Jg. 32 (1987), H. 2.
Universal-Lexikon. 2012.